Paul Grosse

Anlässlich der 102. Jährung der Ereignisse an der Wolfsschlucht dokumentieren wir den nachfolgenden Artikel über die damaligen Ereignisse an der Gaststätte Wolfsschlucht vom 13. Oktober 1923.

Der Artikel entstammtdem dem 2023 von der Stadt Meiningen herausgegebenem Band „1923. Meiningen. Ein Zwischenfall“, S. 2–5. Verfasst ein ihn der Meininger Historiker und ehemalige Lehrer Achim Fuchs, dem für seine Genehmigung zur Zweitveröffentlichung gedankt sei.

 

Was geschah in dieser Nacht?
Noch vor 11 Uhr abends kam es an diesem denkwürdigen 13. Oktober 1923 zwischen Gästen der Wolfsschlucht zu Auseinandersetzungen. Auf der einen Seite standen Zivilisten, auf der anderen Reichswehrsoldaten. Nachdem der Wirt vergeblich versucht hatte zu schlichten, verwies er die Streithähne des Lokals. Nun wurde die Auseinandersetzung auf der Straße fortgesetzt; Schaulustige gesellten sich hinzu. Da das Rathaus mit der Wache nicht weit war, kamen schnell auch die diensthabenden Stadtpolizisten.
Die Auseinandersetzungen spitzten sich zu, als ein gewisser Otto Ostertag einem der Soldaten das Seitengewehr aus der Scheide zog, damit in die Gaststätte floh und das Bajonett dort versteckte. Aus polizeilicher Sicht gelang es den Streit weitgehend zu schlichten. Doch kamen immer mehr Reichswehrsoldaten aus umliegenden Wirtschaften zusammen anstatt der polizeilichen Aufforderung nachzukommen, sich zu entfernen.

Vereidigung der Reichswehr vor der Meininger Kasserne. ©Privatbesitz A.F.

Stattdessen rannten zwei der Soldaten zur Polizeiwache im Rathaus, telefonierte von dort mit der Kaserne und forderte Hilfe an. Kurze Zeit später – zwei Polizisten waren nur noch damit beschäftigt, die Menge von rund einhundert Personen aufzulösen – kamen im Laufschritt 70 weitere Reichswehrsoldaten und zwei Unteroffiziere der Wachbereitschaft. Noch aus größerer Entfernung wurde von ihnen eigenmächtig und voreilig auf die Ansammlung geschossen. Manche flohen schutzsuchend in die Seitengassen, Verwundete schrien auf. Deren Kommandeur, Unterfeldwebel Günther, gab zwar später zu Protokoll, die Menge aufgefordert zu haben auseinanderzugehen.
Allerdings ergaben die Verhöre der anderen Beteiligten und Zuschauer, dass niemand solches gehört hatte, auch nicht die Stadtpolizisten, die sich doch mitten in der Menge befanden. Einer der Anwesenden war sofort tot, zwei weitere starben kurze Zeit später, fünf wurden mehr oder weniger schwer verletzt, darunter auch ein Bürger, der aus dem Fenster die Auseinandersetzung verfolgt hatte.

Reichspräsident Hindenburg beim Abschreiten der Ehrenkompanie der Reichswehr. ©Privatbesitz A.F.

Warum erinnern wir uns heute noch dieses tragischen Ereignisses?
Wäre all das nur die Folge übereifrigen Handelns eines dienstbeflissenen Uunterfefdwebels gewesen, dann würde heute niemand mehr davon wissen. Aber der Zufall wollte es, dass die drei Todesopfer nicht irgendwelche Neugierigen waren und dass sie in einem besonderen Verhältnis zueinander standen: Gottlieb Langguth war Sozialdemokrat, Otto Sauer Kommunist, Paul Große Anarcho-Syndikalist. Alle drei hatten gemeinsam die Straße nach Mellrichstadt beobachtet, um rechtzeitig zu warnen, wenn sich aus Bayern Truppen der Schwarzen Reichswehr nähern. (In Bayern waren in dieser Zeit nämlich äußerst konservative Kräfte an der Macht. Ritter von Kahr war bayerischer Generalstaatskommissar mit diktatorischen Vollmachten geworden. Die Reichswehr in Bayern wurde der bayerischen Regierung unterstellt. Sein Stellvertreter von Aufseß verkündigte wenige Tage später ganz offiziell: „Auf nach Berlin!“ Man wollte die Regierung der Weimarer Republik stürzen. In Sachsen und Thüringen gab es damals SPD-KPD-Regierungen. (Sie wurden per Reichsexekution erst am 29.10. bzw. 06.11. abgesetzt.) Diese linken Regierungen hatten dazu aufgerufen, dass proletarische Hundertschaften entlang der bayerischen Grenze nach Sachsen und Thüringen einen Sperriegel bilden. Damit die Meininger Arbeiterschaft reagieren konnte, wenn sich Reichswehr aus Bayern nähert, wurde auch die Straße nach Mellrichstadt beobachtet. Langguth, Sauer und Große gehörten zu denen, die damit beauftragt waren.

Plakat der Kommunisten, das zum Widerstand gegen die Reichswehr aufruft. ©Privatbesitz A.F.

Diese drei Toten, Langguth, Große und Sauer, bezeugen, dass Sozialdemokraten, Kommunisten, Anarcho-Syndikalisten gemeinsam die Republik schützten. Später war das leider nicht mehr der Fall. Am 18.10.1923 war die Beerdigung, auf der u. a. Karl Korsch (KPD) sprach, der thüringische Justizminister. Schon bald wurde der Grabstein mit der Inschrift „Von der Reichswehr erschossen“ durch die Polizei entfernt und im Rathauskeller deponiert. Dort blieb er bis 1945. Die halbherzigen polizeilichen Untersuchungen verliefen im Sande.

Achim Fuchs

Die drei getöteten Meininger:

Paul Grosse
Tüncher
FAUD *1899
Gottlieb Langghuth
Bahnarbeiter
SPD *1888
Otto Sauer
Friseur
KPD *1872

Paul Grosse
© Meininger Museen, Stadtarchiv Meiningen

Gottlieb Langghuth

Otto Sauer
© Meininger Museen, Stadtarchiv Meiningen

Mehr zum Thema: