Erich MühsamErich Mühsam war kein „Schreibtischtäter“. Er lebte seine Vorstellung von Anarchismus und somit gehört seine Persönlichkeit in einem weit größeren Ausmaß, als dies bei anderen Schriftsteller*innen der Fall ist, zu seiner Wirkung dazu. Sein weitreichendes Werk spiegelt sein politisches Wirken wie seine Verbundenheit zum Theater und Kabarett, zu einzelnen Schriftstellern und Schriftstellerinnen oder zur Boheme wie sein Engagement für die Arbeiterbewegung und für eine herrschaftslose Gesellschaftsordnung. Seine Kindheit und Jugend verbrachte Mühsam als Zeitgenosse Heinrich und Thomas Manns im Lübeck der „Buddenbrooks„. Ab 1900 arbeitete Erich Mühsam als freier Schriftsteller und Publizist in Berlin und München.

Das Leben in der Boheme war für ihn das konsequente Gegenmodell zur Bürgerwelt der Väter. Die Münchener Räterepublik von 1918/19, an der Erich Mühsam an der Seite von Ernst Toller und Gustav Landauer führend beteiligt war, wurde schließlich zum Höhepunkt in seinem Leben. Während der anschließenden Festungshaft setzte er sich kritisch mit den Revolutionsereignissen und der marxistischen Geschichtsauffassung der Kommunisten auseinander und versuchte ab 1924 im Berlin der Weimarer Republik vergeblich, linke Kräfte für eine gesellschaftliche Revolution und gegen den heraufkommenden Faschismus zu bündeln.

Erich Mühsam besuchte die Bakuninhütte für mindestens zwei Tage. Vom 8. und 9. Februar 1930 stammen drei Postkarten, die Erich an seine Frau Zenzel Mühsam schrieb und von Meiningen aus abschickte:

Liebste Zenzl!
In Müller-Meiningens Residenz. Von Paula bekam ich Nachricht, dass sie erkältet ist und vor nächsten Sonnabend nicht los kann. Vielleicht treffe ich sie dann noch, wenn nicht wieder ihre Verbindlichkeit es verhindert. Hoffentlich geht zuvor alles gut. Grüße alle.
Ich bin sehr abgespannt, da die Versammlung gestern in Erfurt bis nach 1 Uhr dauerte und ich heute früh wieder aufstehen musste (bei dem Kaffee!)
Ich küsse Dich. Dein EErich Mühsam, Meiningen 8. Februar 1930
Liebste Zenzl!
Diese Hütte haben die Genossen gebaut, 600 Meter hoch, mitten im schönsten Wald. Wir sind ungefähr 1 Stunde bis herauf gestiegen. Heute abend werd ich Vierbücher guten Tag sagen der eine Versammlung hier hat. Morgen früh geht’s weiter. Morly und Tobias sollen brav auf ihre Tante aufpassen. Grüße an Siegfried und Gerhard. Dich küsse ich Dein ErichErich Mühsam, 9. Februar 1930
Ich habe hier die Winterarrenz [?] getroffen – auch aus Britz. Jetzt sitzen Anarchisten und Pazifisten friedlich und herrschaftslos vereint beim Bier und grüßen Dich. Dein Erich
Herzl. Grüße! Ihr Worbuchsr[?] Beste Grüße Erwin Marten[?] Anarcho Gruß Georg Arens. Otto WalzErich Mühsam, Meiningen 9.II.1930

Anlass des Besuches von Erich Mühsam in Meiningen war eine Vortragsveranstaltung am 8. Februar 1930, bei der er als Redner zum Thema „Die faschistische Gefahr!“ sprach. Veranstaltet wurde sie von der Ortsgruppe der anarchistischen Gewerkschaft F.A.U.D.

Vermutlich wenige Monate später erfolgte ein weiterer Besuch Mühsams an der Bakuninhütte. Der Offenbacher Jungsyndikalist Karl Gültig berichtet in einem Interview über Mühsam und die Bakuninhütte:

 

Es ist anzunehmen, dass diese Begegnung im Rahmen des Erstes Reichsferienlagers des S.A.J.D. vom 8.–16. Juni 1930 an der Bakuninhütte stattfand, wobei Mühsam auf Karl Gültig traf und sie gemeinsam mit anderen in Meiningen unterwegs gewesen sind.

Als jüdischer Intellektueller und Anarchist wurde Erich Mühsam eines der ersten Opfer der Nationalsozialisten, die ihn in der Nacht des Reichstagsbrandes im Februar 1933 verhafteten und nach schweren Misshandlungen und Folter im Juli 1934 im Konzentrationslager Oranienburg ermordeten.


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