Die F.A.U.D. Ortsgruppe Meiningen lud Erich Mühsam 1930 als Vortragsredner zu sich sein. Dieser Einladung folgend sprach er am Samstag den 8. Februar unter dem Titel „Die faschistische Gefahr!“ zu den Gästen in der „Loreley“ (Wettiner Straße 7) in Meinigen.
Am Tag darauf, Sonntag der 9. Februar 1930, sprach sein Freund Heinrich Vierbücher zum Thema „Stahlhelm und Hakenkreuz sind Deutschlands Untergang“ im oberen Saale des Schützenhauses zur interessierten Öffentlichkeit Meiningens.
Nachfolgend sind Transkripte verschiedener Annoncen zur Ankündigung und Berichte aus der Lokalpresse über beide Referate dokumentiert.
Erich Mühsam[,] der Münchener Räterepublikaner u. Festungsgefangene v. Niederschönenfeld, Dichter und anarchistische Schriftsteller[,] spricht am Sonnabend, d. 8. Febr. 1930, 8 Uhr abends, in der „Loreley“ über das Thema „Die faschistische Gefahr!“ Freie Aussprache! Eintritt Frei! F.A.U.D.(Anarch.-Syndikalisten)Meininger Tageblatt, Nr. 33/1930, Samstag, 8. Februar, S. 3
Am Sonntag, 9. Februar 1930 abends 8 Uhr spricht im oberen Saale des Schützenhauses in Meiningen der bekannte Redner Heinrich Vierbücher-Berlin über das interessante Thema: [Symbol: Stahlhelm] und [Symbol: Hakenkreuz] sind Deutschlands Untergang. Eintritt frei! Freie Aussprache! Deutsche Friedensgesellschaft […]Werra Wacht, Nr. 33/1930, Samstag, 8. Februar, S. 4
Am Sonntag, 9. Februar, abends 8 Uhr, veranstaltet die Deutsche Friedensgesellschaft im oberen Saale des Schützenhauses eine öffentliche Versammlung. Als Redner des Abends wurde der bekannte Volksredner Heinrich Vierbücher-Berlin gewonnen, welcher über das Thema: „Stahlhelm und Hakenkreuz sind Deutschlands Untergang“ sprechen wird. Vierbücher ist eine der markantesten Gestalten der deutschen Friedensbewegung. Er versteht es, trotz Schwungvoller und temperamentvoller Rede, seine Ausführungen im strengen Rahmen geistiger Sachlichkeit zu halten. Vierbüchers Ausführungen wurden in allen größeren Städten Deutschlands, in denen er sprach, mit Begeisterung aufgenommen. Die politische Lage Thüringens ist besonders ernst; das Thema dürfte in Anbetracht dessen, allgemein interessieren. Versäume es daher niemand, den Vortrag zu besuchen. Näheres im Inserat der heutigen Ausgabe.Werra Wacht, Nr. 33/1930, Samstag, 8. Februar, S. 3
Egs. Erich Mühsam, der Münchener Räterepublikaner und Festungsgefangene von Niederschönenfeld, spricht am Sonnabend, den 8. Februar 1930, 20 Uhr, in Meiningen in der „Loreley“ über das Thema: „Die faschistische Gefahr“. Mühsam wird sich in sachlicher Art mit den Vertretern des Nationalsozialismus auseinandersetzen. Er ist eine bekannte Persönlichkeit des Sozialismus, beherrscht dessen Weltanschauung nicht nur durch eine gute politische Schulung, sondern vor allem durch reiche praktische Erfahrung. Mühsam wird das Thema einmal vom Standpunkt des herrschaftslosen Sozialismus aus beleuchten. Der Besuch des Abends wird für den freund des Sozialismus, sowie den Gegner sicher sehr lohnen. Eintritt ist frei. Freie Aussprache wird nach dem Vortrag jedermann gewährt.Meininger Tageblatt, Nr. 32/1930, Freitag, 7. Februar, S. 2
Egs. Deutsche Friedensgesellschaft. Am Sonntag, 9. Februar, abends 8 Uhr, veranstaltet die Deutsche Friedensgesellschaft im oberen Saale des Schützenhauses eine öffentliche Versammlung. Als Redner des Abends wurde der bekannte Volksredner Heinrich Vierbücher-Berlin gewonnen, welcher über das Thema: „Stahlhelm und Hakenkreuz sind Deutschlands Untergang“ spricht. Vierbücher […]Meininger Tageblatt, Nr. 32/1930, Freitag, 7. Februar, S. 2
* Und als Anarchist habe ich zu Ihnen gesprochen!“ Mit diesen Worten schloß Erich Mühsam, der Münchener Räterepublikaner und Festungsgefangene von Niederschönenfeld, der anarchistische Dichter und Schriftsteller, am Sonnabend seinen Vortrag über „Die faschistische Gefahr“! – Es war kein allzugroßer Kreis von Menschen, der sich eingefunden hatte und viele auch noch von diesen mochte die Neugier getrieben haben, einmal den Mann zu sehen und zu hören, mit dessen Gestalt und Name sich die Erinnerung an die blutigen Revolutionstage in München verbindet. Denn das steht zweifellos fest:: dieser Erich Mühsam ist eine Persönlichkeit. Schon rein äußerlich, mit dem typischen Kopf des Revolutionärs, mit einem schrankenlosen Willen zur Freiheit! Und dieser Mann nun schleudert mit einer gefährlichen Beredsamkeit die fruchtbare Brandfackel in das Volk, – die Brandfackel des Bürgerkriegs, – die Aufforderung zum Kampf gegen alles was Staat und Staatsgesetze heißt, er predigt die Vernichtung des Staates in seiner bestehenden Form. Ausgehend von der heutigen politischen Lage, die nur auf dem gewaltsamen Wege eines revolutionären Geschehens geändert werden könne, kam er auf die drohende Gefahr des Faschismus zu sprechen. Er zeichnete sie in allen Einzelheiten und verlas einen angeblich bereits vorhandenen Entwurf , in dem es allerdings bei beinahe, jedem Atemzug heißt: – – wird mit dem Tode bestraft! – – Der Redner erklärte weiter, daß wir in Deutschland bereits den Faschismus in allen Vorbereitungen der Gesetzgebung hätten. Das sei besonders bei der Justiz der Fall! Er gab ein Beispiel: Der Nationalsozialist Frick sei im Jahr 1923 nur zu 1 Jahr 3 Monaten Festungshaft (bei Bewährungsfrist) verurteilt worden, – ihm, (Mühsam) habe man seinerzeit 15 Jahre Festungshaft zudiktiert, von der er fast 6 Jahre hätte absitzen müssen! Scharf wandte er sich darauf gegen die Sozialdemokraten, die er Vorfaschisten (allgem. Gelächter!) nannte und kam dann auf die Nationalsozialisten zu sprechen. Er betonte, man müsse der Arbeiterschaft sagen, daß sie sich ins eigene Fleisch schneidet! Wenn sie aufhört, international zu denken, so versklave sie sich aufs neue dem Kapital. Der Arbeiter werde mit nationalen Phrasen blöd gemacht. Ihn gehe nichts derartiges an! (Zuruf: Oho!) – Der Redner kam zum Schluß: „Wir Anarchisten wollen die Macht nicht erobern, wir wollen sie zerstören! Die Arbeiter sollen das Machtgefühl der eigenen Freiheit, nicht der nationalen empfinden, – also, – Revolution gegen alles was sich ihnen entgegen stellt!“ In der darauffolgenden Debatte sprach Hans Sippel von den „Adlern und Falken“ als Angehöriger der Bündischen Jugend. Er betonte: „Ich bewundere den Idealismus, der die Anarchisten beherrscht! Sie wollen die Freiheit des Einzelnen! Das erstreben auch wir, doch über die Freiheit des Einzelnen stellen wir die Idee einer Gemeinschaft, den glauben an einen Führer! Für eine schicksalsverbundene Volksgemeinschaft ist der anarchistische Gedanke ein Unding! Er würde uns wehrlos machen!“ (Bravo!). – Erich Mühsam zeigte sich unterrichtet über die Ziele der bündischen Jugend. Er erwiderte mit Worten des bündischen Führers, der den heroischen Menschen als Ideal aufstellt. „Aber“, – fügte der Redner hinzu, „für diesen heroischen Menschen muß erst Platz geschaffen werden! Kommt er doch immer nur aus der Masse der Vergewaltigten!“ Den Fehler des bündischen Gedankens aber sah er in dem Ruf nach einem Führer. „Jeder ist Führer selbst, wenn er nur sich beherrscht!“ – Erich Mühsam vergaß, daß dieses stolze Wort, daß er für sich in Anspruch nehmen kann, nicht für alle Naturen taugt! Er vergaß weiter, daß das, was ihm als Menschheitsideal vorschwebt, in der Praxis verdammt anders aussehen würde.Meininger Tageblatt, Nr. 34/1930, Montag, 10. Februar, S. 2 f.
* „Stahlhelm und Hakenkreuz sind Deutschlands Untergang“. Ueber dieses Thema sprach gestern abend im vollbesetzten oberen Saal des Schützenhauses der bekannte Volksredner der „Deutschen Freidensgesellschaft“ Heinrich Vierbücher-Berlin in fast dreistündiger Rede. Wir hörten Vierbücher bereits im vergangenen Jahr. Das Thema hieß damals anders, – der tiefere Sinn war derselbe. Er heißt, auf kürzeste Formel gebracht: Krieg dem Kriege! Auch dieser Redner ging, wie tagszuvor der Anarchist Mühsam, von der heutigen Lage aus. Er teilte die große Gesamtnot in drei Gruppen, und zwar in das wirtschaftliche, politische und geistige Leid. Jeder dieser Teile beleuchtete er eingehend von seinem Standpunkt aus, streifte den Youngplan und seine Auswirkung und wandte sich schließlich aufs schärfste gegen die „Geschäftstätigkeit“ Krupps und Tyssens, die auf der einen Seite in reger Verbindung mit Frankreich usw. ständen, auf der anderen Seite aber den nationalen Gedanken predigten und Volksentscheide machten. Der Redner betonte, daß die nationalen Kreise allen Grund hätten, von diesen Stahlhelmleuten abzurücken, wie es bereits der Jungdeutsche Orden getan habe. Er schloss mit den Worten, daß, wenn es bereits eine Internationale der Wirtschaft gebe, eine solche der Menschheit nicht mehr fern sein könne. In der Debatte sprach als Einziger wiederum Hans Sippel und entwickelte, wie am Abend zuvor, die Ideale und Ziele der Bündischen Jugendbewegung. Im Schlußwort ging Vierbücher auf diese Gedankenwelt ein. Er bezog sich dabei u. a. auf „seinen Freund Erich Mühsam“ und tat folgenden interessierten [sic!] Ausspruch: „Im pazifistischen Gedanken sind wir uns restlos einig! Niemals mehr darf es zum Krieg kommen!“ Am vorhergehenden Abend sagte Erich Mühsam in aller Deutlichkeit: „Nur ein gewaltsamer Eingriff vermag die augenblickliche Lage zu ändern! Wenn wir uns mit den Waffen in der Hand gegenüberstehen…“ Wir fragen nun: In wieweit deckt sich diese Anschauung mit dem pazifistischen Gedanken der deutschen Friedensgesellschaft … oder – ist ein Bürgerkrieg kein Krieg?
–f.Meininger Tageblatt, Nr. 34/1930, Montag, 10. Februar, S. 3
–f.Meininger Tageblatt, Nr. 34/1930, Montag, 10. Februar, S. 3