Bau der Hütte

  • ab 1920
    Pacht und Erwerb des Grundstücks durch Meininger AnarchistInnen und AnarchosyndikalistInnen.
  • ab 1926
    Bau der Bakunin-Schutzhütte (kleine Hütte)
  • ab 1927
    1. Um- und Erweiterungsbau
  • ab 1928
    überregionale Veranstaltungen, Seminare, Feste und Zeltlager an der Bakuninhütte
  • ab 1930
    Solidaritätskampagne für den 2. Erweiterungsbau
  • 1932
    2. Um- und Erweiterungsbau

Die Entstehungsgeschichte der Bakuninhütte fällt zusammen mit zahlreichen ideengeschichtlichen Erscheinungen wie der Konsum-, der Genossenschafts- und der Siedlungsbewegung, aber auch der Lebensreform-, Jugend- und Wandervogelbewegung. Zudem trafen (welt-)politische Ereignisse zusammen: der erste Weltkrieg mit seinen Folgen und die gefühlten oder tatsächlichen Krisen in verschiedensten Lebensbereichen. Ein starkes Bewusstsein für die Gestaltbarkeit der Gesellschaft, bedingt durch die Erfahrung von Revolutionen, traf auf die Unfähigkeit der bisherigen Gesellschaftsstrukturen die allgegenwärtigen Sorgen wie Inflation, Versorgungsengpässe, Arbeitslosigkeit und Hunger zu lösen.
Der Glaube an eine bessere Welt brachte 1919 eine Gruppe von politisierten, meist jungen Menschen zur Gründung einer Ortsgruppe der Freien Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) in Meiningen. Neben ihren gewerkschaftlichen und politischen Tätigkeiten wurde auch, auf Initiative des Seemann Ferdinand Rüttinger, ein Grundstück bei Dreißigacker gepachtet, um darauf kollektiv Ackerbau zur Selbstversorgung zu betreiben. Als sie 1920 das Angebot bekamen, auf der anderen Seite des Meininger Tals, auf der Hohen Maas, ein 6400m² großes Stück Land käuflich zu erwerben, sammelten sie im Sinne Kropotkins gegenseitiger Hilfe auf verschiedensten Wegen mehr als 21.000 Reichsmark. Bereits zwei Jahre später war die Schuldenlast gänzlich abgetragen. Bis 1925 wurden Kartoffeln und Getreide angebaut, dann rentierten sich die Kosten für Dünger und die Arbeit nicht mehr – die Marktpreise hatten sich stabilisiert.

Gruppenfoto des Hüttenvereins, 1920er Jahre

Gruppenfoto des Hüttenvereins, 1920er Jahre (©bakuninhuette.de)

Die Felder wurden brach liegen gelassen, doch die ca. 30-köpfige Gemeinschaft traf sich weiterhin auf ihrem Stück Land, besonders zu Wochenendausflügen mit der ganzen Familie. (Siehe Foto oben) Immerhin lag es auf einem ca. 500 Meter hohen Plateau. Noch heute befindet sich auf dem Grundstück eine wegen ihrer Artenvielfältigkeit geschützte Magerkalkwiese, umringt von Wald, mit kilometerweiter Aussicht nach Süden. Eines wechselhaften Sonntags dann, wurde die Gemeinschaft von einem Gewitterguss überrascht und kam durchnässt nach Hause zurück. Da kam Franz Dressel der Gedanke eine Schutzhütte auf dem Grundstück zu errichten. In kurzer Zeit entstand, in kollektiver Handarbeit, eine überdachte Erdgamme mit Koch- und Sitzgelegenheiten. Über dem Eingang prangte ihr Name:
„Bakunin-Schutzhütte“. Dem Namensgeber, Michail Bakunin, gedachte diese Gemeinschaft auch in steinerner Form. Zu seinem 50 Todestag – im Juli 1926 – wurde ein großer Gedenkstein mit seinen Lebensdaten angefertigt. Schließlich befanden sich mit Otto Walz und seinem Sohn Heini auch Steinmetze in
den eigenen Reihen.
Um einen verschließbaren Raum für Werkzeug zu haben, kam der Gedanke auf, einen solchen selbst zu schaffen. Der erste Erweiterungsbau wurde in Angriff genommen. Das erste Gebäude mit Küche, Aufenthalts- sowie Schlafraum und Keller entstand. Dazu wurden sämtliche Baumaterialien und auch das Wasser in eigener Körperleistung an die Hütte gebracht und die Bauarbeiten selbst ausgeführt. Strom und Licht gab es an ihrer Hütte noch lange nicht. Beleuchtet wurde mit Petroleum-Lampen.
Auch das Grundstück wurde gestaltet: Auf Acker und Wiesen entstanden Sitzgelegenheiten, Baumgruppen, Büsche und Blumen wurden gepflanzt, Wege und Beete angelegt. Gedenksteine für den spanischen, libertären Pädagogen Francisco Ferrer, sowie für die in den USA trotz weltweiter Proteste hingerichteten Arbeiter Sacco&Vanzetti wurden errichtet. Am Gebäude wurde eine Tafel mit dem Hüttenspruch eingelassen:

Freies Land und freie Hütte / Freier Geist und Fries Wort / Freie Menschen, freie Sitte / Zieht mich stets an diesen Ort

– erdichtet vom Meininger Max Baewert

Selbst die Kinder kamen nicht zu kurz: Der Schlosser Franz Dressel errichtete Schaukeln und sogar ein handbetriebenes Kettenkarussell – das Einzige weit und breit zu jener Zeit. Der viele Platz zum toben und die kostenfreie Nutzung der Spielgeräte zog viele Familien an. Doch nicht nur das Interesse aus der Bevölkerung wuchs zunehmend, auch überregionale Sachspenden bereicherten das Inventar, das allen zur freien Verfügung stand. Der Zufahrtsweg wurde befestigt, eine Brauerei brachte mit den Getränken auch die Gartenstühle und Tische. Finanziert wurde alles über eine Sammelbüchse.

Ostseite des Erstbaus 1920

Ostseite des Erstbau, 1920er (© bakuninhuette.de

Anfang 1927 gründete sich der “Siedlungsverein für gegenseitige Hilfe” um der Gemeinschaft einen juristischen Rahmen zugeben. Bis zu seiner Zwangsauflösung 1933 vereinte dieser nicht nur Mitglieder der FAUD-Ortsgruppe, sondern auch anders- oder unpolitisierte Menschen. Als Erbauer überliefert sind leider nur die Männer: Alfred Anschütz, Fritz Baewert, Franz Dressel, Otto Eck, August Filler, Fritz Landgraf, Emil Liebeskind, Ferdinand Rüttinger, Hermann Staedtler, Alfred Thomas, Edwin und Otto Walz.

Frauen vor der Bakuninhütte

Frauen u.a. aus Kassel vor der Bakuninhütte (© bakuninhuette.de)

In den folgenden Jahren stand die Bakuninhütte einerseits allen Vorbeikommenden offen, um sich an Getränken zu erfrischen oder sich im Winter zu wärmen. Doch auch für die syndikalistisch-anarchistische Bewegung galt sie als der Mittel- und Sammelpunkt, als Ferienheim und als Raum für die Kulturarbeit der anarchosyndikalistischen Jugend Deutschlands (SAJD). Deren erstes Reichsferienlager fand vom 8. bis 16. Juni 1930 an der Bakuninhütte statt. Schon zuvor, am 8. und 9. Februar, kam einer der bekanntesten Anarchisten diese Zeit nach Meiningen, um als Vortragsredner der Einladung der FAUD-Ortsgruppe zu folgen: der Dichter Erich Mühsam besuchte daraufhin auch die Bakuninhütte. Die Veranstaltungen jener ersten Jahreshälfte 1930 ließen klar werden, dass die bisherigen Räume zu wenig Platz boten. Ein Entwurf für einen Erweiterungsbau entstand. Eine Baufondskarte und Stocknägel wurden produziert, um mit ihrem Vertrieb den Anbau zu finanzieren. Die Spendenkampagne lief reichsweit über die Medien der Anarchosyndikalisten, wie die Wochenzeitung „Der Syndikalist“.
Die Bakuninhütte zog nun Gäste von Nah und Fern an, war sie in den Kreisen der freiheitlichen Arbeiterbewegung doch recht bekannt. Einer der sich besonders von ihr angezogen fühlte, war der Berliner Wanderarbeiter und Buchbinder Fritz Scherer. Als er bei seiner Reise durch Thüringen von ihr erfuhr, hielt ihn nichts mehr auf. Sein Wandertagebuch beschreibt eindrücklich seine erste Reise zur Bakuninhütte. Schließlich wurde Fritz der Hüttenwart, der Gäste versorgte und sich um alles rund um die Hütte kümmerte. Bevor es ihn wieder in die Ferne zog hinterließ er der Gemeinschaft ein selbst gefertigtes Gästebuch: das sogenannte Hüttenbuch, in welchem sich bis Juli 1933 zahlreiche Gäste, in oft poetischer Form, verewigten.

Hier auf dieser Bergeshöhe / stehe ich zum Schutz erbaut / kommet zu mir freie Denker / von den Füßen stoßt den Staub / Auch vom Herzen löst die Kruste von des Tales Tyrannei / Seit hier unter meinem Dache körperlich und geistig frei! / Hier vom Waldesduft umgeben fern von allem Schmutz und Trug der euch auf den Körper haftet von des Kapitales Frohn / Löst die Kleider, löst die Schuhe Atmet mit uns freie Luft / Seit ihr auch kurze Zeit nur hier zu Gast bis die Pflicht euch wieder ruft.

Trotz des reichsweiten Rückganges der FAUD-Mitgliedszahlen und der Schwierigkeiten, die dies für die Spendenkampagne brachte, konnte mit dem Erweiterungsbau der Hütte im Herbst 1932 begonnen werden. Arbeiter_innen von nah und fern kamen, um die Bauarbeiten an der Hütte zu unterstützen, so aus Erfurt, Heinrichs, Goldlauter und auch aus Sömmerda, der thüringischen Hochburg des Syndikalismus. [Mehr dazu] Wann genau sich die Syndikalist_innen gezwungen sahen ihre Arbeiten einzustellen, kann nur vermutet werden. Doch noch zu Pfingsten 1933, trotz Enteignung des “Siedlungsverein für gegenseitige Hilfe”, feierten sie an ihrer Hütte, bevor dann alles ein gewaltsames Ende fand.

Beginn der Bauarbeiten 1932

Beginn der Bauarbeiten, 1932 (© bakuninhuette.de)

 

Fortsetzung folgt…

Für Hinweise auf Erinnerungen von Zeitzeugen, Fotografien, alte Zeitungsartikel …: recherche@bakuninhuette.de