Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel aus dem Freien Wort vom 14. September 2013, sowie einen Artikel aus dem Neuen Deutschland vom 7. September 2013 zum vergangenen Tag des offenen Denkmals.


Tageszeitung Freies Wort vom 14. September 2013:

Unbequem, aber erhaltenswert

Meiningen – „Jenseits des Guten und Schönen: Unbequeme Denkmale?“ Zum diesjährigen Motto des Denkmaltages passte die Bakuninhütte auf der Hohen Maas bei Meiningen mit ihrer ganz besonderen Unbequemlichkeit. Hervorgegangen ist sie aus einer heute recht unbekannten Strömung der Arbeiterbewegung in den 1920er Jahren: den Anarchosyndikalisten.
Ihr Ziel war eine klassen- und staatenlose Kollektivordnung, die Produktionsmittel sollten in gewerkschaftlicher Selbstorganisation übernommen werden.
Seit dem Nationalsozialismus wurde die Nutzung der Hütte im Sinne ihrer Erbauer verhindert, der Name geändert, und auch heute sieht sich der „Wanderverein Bakuninhütte“ großen Vorbehalten ob der Geschichte des Gebäudes ausgesetzt.
Nun springt dem Verein mit Prof. Dr. Gabi Dolff-Bonekämper von der Technischen Uni Berlin eine prominente Denkmalpflegerin und Kunsthistorikerin bei. Auf die Frage, ob die Hütte es wert sei, sie zu schützen und an sie zu erinnern, antwortete sie: „Unbedingt“. Zwar sei das Gebäude von seiner Architektur her kein Kunstwerk, jedoch extravagant. In diesem Falle verschiebe sich der Fokus von der Architektur zu Geschichte und Ort. Der Wert liege in diesen „ganz anderen Bedeutungsschichten“. Das „Schlüsselkriterium“ sei die „ereignisgeschichtliche Seite“. So ist „die Hütte als Kristallisationspunkt von politischen Bewegungen“ zu sehen, die sich auf verschiedene Weise ablösten.

Der „Anarchosyndikalismus ist eine kleine aber auch beachtenswerte Bewegung, von (…) engagierten Personen, die damals hier mit ihrer Hütte (…) eigentlich auf der richtigen Seite standen“, so Dolff-Bonekämper. Gerade weil diese Bewertung umstritten ist, ergebe sich ein weiteres Kriterium: das des Streitwertes. Im Falle der Hütte hebt die Professorin hervor: „Diese Umstrittenheit ist kein Nachteil, sondern eine Qualität.“

Kai Richarz
(Der Autor ist Mitglied im
„Wanderverein Bakuninhütte“)

Tageszeitung Neues Deutschland vom 7. September 2013:

Ausflugsziel mit Übernachtungsverbot

Enrico Knorr vom »Wanderverein Bakunin« über ein unbequemes Denkmal in Thüringen
Am Sonntag wird der »Tag des offenen Denkmals«, der in diesem Jahr unter dem Motto »Jenseits des Guten und Schönen: Unbequeme Denkmale?« steht, auch in der Bakuninhütte bei Meiningen begangen. Über die Geschichte der Hütte sprach mit Enrico Knorr für »nd« Peter Nowak.

nd: Wie kommt eine Schutzhütte zum Namen eines russischen Anarchisten?
Knorr: Die Hütte entstand in den 1920er Jahren auf einer Selbstversorgungsfläche hungernder Arbeiterfamilien in der Region. Sie waren überwiegend in der syndikalistischen Gewerkschaft Freie Arbeiter Union Deutschland (F.A.U.D.) organisiert. Im Laufe der Jahre entstand eine einfache Schutzhütte und später ein Steinhaus. Sie war Ausflugsziel für Menschen aus der Region und Urlaubsstätte für Arbeiter aus dem damaligen Reichsgebiet. Dort fanden überregionale Treffen der syndikalistisch-anarchistischen Jugend statt. Auch Persönlichkeiten wie Augustin Souchy und Erich Mühsam machten dort Station.

Was passierte nach 1933 mit der Hütte?
Mit der Enteignung durch die Nazis folgte eine jahrzehntelange Odyssee von Nutzungen: Bis 1945 diente die Hütte der SS, der Nazi-Jugend und Privatpersonen. Nach einer erneuten Enteignung wurde sie der SED übertragen und als Jugendferienlager der FDJ, betriebliche Ferienstätte, Stützpunkt für Naturforscher und als Übungsgelände der Bereitschaftspolizei genutzt. Nach der Wende scheiterten Bemühungen um Rückübertragungen. Erst 2005 gelang es unserem Verein, diesen geschichtsträchtigen Ort zu erwerben und der Allgemeinheit zugänglich zu machen.

Was ist mit dem Begriff »Unbequemes Denkmal« gemeint?
Ich will es an unserem Beispiel erklären: Die Hütte ist weder ein Kunstwerk, noch besonders alt. Sie erzählt nicht die Geschichte der Herrschenden und auch keine andere stringente Siegergeschichte. Nicht nur die Nazis, sondern auch die SED tat sich schwer mit diesem Zeugnis der antiautoritären Arbeiterbewegung. Sie nannten sie lieber »Touristenstation August Bebel« und würdigten sie nicht als Denkmal.
Die Vorstellung von Intaktem, Ungebrochenen, Ursprünglichen und Reinen als Gegenbild zum Gestörten, Gealterten, Überlagerten und Unklaren erweist sich nämlich nicht nur auf dem Feld der Baukultur als Fiktion. Anstatt alles Unpassende, Anders- und Fremdartige zu beseitigen, wäre es wichtig, sich darum zu bemühen, es zu entziffern und zu verstehen. Das im Lauf der Geschichte Veränderte ist die Regel und nicht die Ausnahme. Gerade die Geschichten der Bakuninhütte halten ständige Brüche und damit fundamental »Unbequemes« bereit.

Warum ist es für Euch wichtig, dass die Hütte als Denkmal anerkannt wird?
Es muss hier Geschichte und Ort zusammen gedacht werden. Eine Unterschutzstellung als Denkmal würdigt das Gebäude über den schon vorhandenen Wert hinaus. Der Zeitzeugniswert der Hütte taugt dazu allemal.

Gab es nicht auch Stimmen, die meinten, Bakunin solle nicht in einem bürgerlichen Staat auf ein Denkmal gestellt werden?
Genau jene Stimmen aus den Ämtern haben bis zum heutigen Tag ein Übernachtungsverbot in der Hütte bewirkt, denn sie fürchten »einen Wallfahrtsort für Bakuninanhänger«. Doch Heroismus liegt dem Verein fern, es geht lediglich um historische Authentizität.

Was passiert in der Hütte, wenn kein Gedenktag ist?
Auch wenn wir bereits viel geschafft haben, nehmen die Instandsetzungsarbeiten dennoch den Löwenanteil unseres Engagements ein. Noch Einiges gibt es zu tun, damit die Hütte keine Baustellen mehr hat. Doch parallel dazu arbeiten wir an unserem Ziel, die Hütte zu einem Freiraum werden zu lassen, sowohl fürs Genießen der Natur, fürs Wandern, aber eben auch für Geselligkeit und Kultur verschiedenster Ausprägung. Auf den Grünflächen rings um die Hütte hingegen herrscht schon jetzt, besonders an warmen Wochenenden, ein reges Treiben.