Das Rabenradio präsentiert eine gelungene Auseinandersetzung mit der historischen Vagabundenbewegung und spannt dabei einen Bogen zur Geschichte der Bakuninhütte.

„Kann kommen was will, ich gehe auch“, sagte sich der Arbeiter, Vagabund und spätere Hüttenwart der Bakuninhütte Fritz Scherer im Jahr 1923. Getrieben von einer romantischen Vorstellung der Wanderschaft, aber auch durch die materielle Not der 1920er Jahre verließen viele die Städte und folgten dem Lauf der Straße.
Der vorliegende fast dreistündige Podcast „Gefallen am Gefallensein“ von Punksupermarkt und Jolande Fleck beleuchtet die Vagabundage, die Landstreicherei oder die sogenannten Kunden in vielen ihrer Facetten. So werden der Umgang mit deprimierenden Abgründen der Gesellschaft, insbesondere den sozialen Folgen des Kapitalismus behandelt, aber auch Hoffnung und die Freiheit in der Unabhängigkeit thematisiert.
Die Auswahl der Interviewpartner*innen und die Beiträge zeigen die unterschiedlichsten Zugänge zum Thema vom Deutschen Kaiserreich im 19. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre auf.

Den Beginn gestalten die Erinnerungen und die Weltsicht der Reiseschriftstellerin und Abenteurerin Isabelle Eberhardt aus ihrem Tagebuch der Jahre 1900–1903. Die Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft mit ihrer zerstörerischen Grundsubstanz sowie die Flucht in die Reise wird hier deutlich.

Die Historikerin Britta Marie-Schenk startet mit einem interessanten Einblick in die rechtliche Einordnung der Landstreicherei mit der Entstehung des Deutschen Kaiserreichs 1870/71. Auch bricht sie mit der Romantikvorstellung zur Landstreicherei, die für viele Menschen eher Ausweglosigkeit als freie Entscheidung war.

Mark Mence (vom Wanderverein Bakuninhütte e.V., ab Min. 52) spannt den Bogen zur anarchistischen und anarcho-syndikalistischen Bewegung der 1920er, sowie den Einflüssen der Wandervogelbewegung auf das Leben außerhalb industrieller Städte. Einmal mehr kann dargestellt werden, wie wichtig Orte wie die Bakuninhütte sind, an denen sich historische Bewegungen vereinen. Allein die Biografie des Hüttenwarts Fritz Scherer ist hier Anhaltspunkt genug. Doch auch die Erbauer*innen aus der Arbeiter*innenbewegung mit ihrer Ideengeschichte leisten ihren Beitrag zur Verbindung des Gebäudes mit der Kunden- und Vagabundenbewegung.

Ein bisschen Romantik darf dann doch nicht fehlen. So referiert Hanneliese Palm (von 2005 bis 2018 Leiterin des Fritz-Hüser-Institut für Literatur und Kultur der Arbeitswelt in Dortmund, Mitherausgeberin des 2019 erschienen Buches „Künstler, Kunden, Vagabunden“) zum Künstler und Brecht Freund Hans Tombrock, den es ebenfalls auf die Straße zog und welcher Teil der Bruderschaft der Vagabunden war. Diese Bruderschaft von Gregor Gog gegründet, organisierte 1929 den Vagabundenkongress in Stuttgart. U. a. Klaus Trappmann ist es zu verdanken, dass dieser historische Moment nicht in den Polizeiakten verschwand.
Das Interview mit Filmemacher Klaus Trappmann (Herausgeber des 1980 erschienenen Buchs „Landstraße, Kunden, und Vagabunden“ sowie der Doku „Generalstreik ein Leben lang“), das den ganz persönlichen Zugang zum Thema Obdachlosigkeit und Vagabunden aufzeigt, ist ein exklusives Element. In den 1970ern war Trappmann selbst Teil einer Jugendbewegung, die langhaarig mit dem Alten brechen wollte. Historische Vorbilder kamen wie gelegen.

Neben passender Musik, u. a. dem Ton, Steine, Scherben Hit „Ich will nicht werden was mein Alter ist“, kommen weitere Teilnehmende des Vagabundenkongresses zu Wort, wie Jo Milhaly oder Jonny Rieger.

Ein spannendes Stück Zeitgeschichte, dass die drei Stunden optimal nutzt.

Die Ausführungen über die Bakuninhütte basieren auf einer Audioführung durch die zuletzt gezeigte Wanderausstellung.

 


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