Am 10. Mai 2016 erschien in der Thüringer Allgemeine ein ausführlicher Artikel von Hanno Müller über die Bakuninhütte und die Vereinsarbeit dahinter.

Hütte im Thüringer Wald erinnert an den Anarchismus der 1920er-Jahre

Meiningen. Die Bakuninhütte bei Meiningen erinnert an die Blütezeit des Anarchismus in Thüringen. Ein Wanderverein holt ihre Geschichte nach und nach aus dem Vergessen.

Titelbild

Christian Horn (l.) und Michael Wagner vor der Bakuninhütte auf der Hohen Maas bei Meiningen. Beide Männer gehören zum Wanderverein Bakuninhütte, der mit dem abgelegenen und lange vernachlässigten Gelände inzwischen auch das historische Erbe der Meininger Anarchosyndikalisten der 1920er Jahre pflegt. Foto: Marco Kneise

Im Spätsommer des vergangenen Jahres ist es endlich soweit. In einem Schreiben teilt das Thüringer Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie dem „Kreis der Wander- & Naturfreunde Meiningen e. V.“ mit, dass die Bakuninhütte auf der Hohen Maas bei Meiningen offiziell als Kulturdenkmal anerkannt wird. Die Voraussetzungen dafür seien „aus geschichtlichen und wissenschaftlichen Gründen“ gegeben. Für die Freunde der Hütte ist es ein denkwürdiger Moment. „Zum einen erfuhr erstmals ein Geschichtsort der anarchosyndikalistischen Bewegung eine solche Ehrung. Zum anderen wurden endlich auch jahrelange Bemühungen um die Bewahrung der Hütte und des nahezu vergessenen, freigeistigen Erbes der Arbeiterbewegung von behördlicher Seite gewürdigt“, sagt Michael Wagner.
Mit dem ehemaligen Meininger Jugendpfarrer und seinem Mitstreiter Christian Horn sind wir an der Hütte auf der Hohen Maas verabredet. Beide gehören zum 2006 gegründeten Wanderverein Bakuninhütte e. V. und damit zu den vielen, die für den Erfolg in den vergangenen Jahren viele Mosaiksteine zusammentrugen.
Um dies zunächst zu erklären: Der eingangs erwähnte „Kreis der Wander- und Naturfreunde“ ist der Eigentümer der Hütte, der „Wanderverein Bakuninhütte“ sozusagen der Nutzer. Die Ursprünge für diese Trennnung liegen in den Eigentumswirren der Nachwendezeit – dazu später mehr.

Ziel: Bakuninhütte als Wandertreffpunkt im Thüringer Wald wiederzubeleben
Gemeinsam kümmern sich beide Interessengruppen seit gut zehn Jahren um das Erbe der Hütte. Ziel sei es, die Bakuninhütte wiederzubeleben als Wandertreffpunkt im Thüringer Wald, sagt Horn. Ebenso wichtig ist den ca. 100 über ganz Deutschland verstreuten Aktiven aber auch die anarchistische Vergangenheit des Ortes. „Das Libertäre braucht wieder eine Heimstatt“, so Wagner.

Seminarraum

Fußboden, Fenster und Stützbalken im Obergeschoss der Bakuninhütte wurden inzwischen erneuert. Bald soll hier auch wieder übernachtet werden können. Foto: Marco Kneise

Das Libertäre. Die Bakuninhütte ist in Deutschland vermutlich das einzige original erhaltene Sachzeugnis einer Bewegung, die Anfang der 1920er Jahren auch viele Thüringer begeistert. Nach den Schrecken des Ersten Weltkrieges verbinden sie den Anarchosyndikalismus, eine Form des Anarchismus, mit der Hoffnung auf ein Ende des Kapitalismus und auf besagte libertäre, sprich freie und antiautoritäre Lebensformen. Vordenker wie der während der nachrevolutionären Unruhen erschlagene Gustav Landauer (1870 – 1919) propagieren eigene Siedlungen, in denen sich die Menschen unabhängig und solidarisch selbst versorgen.
An diesem Punkt beginnt auch die Geschichte der Bakuninhütte. Während der Inflation nimmt die Suche nach Alternativen ganz existenzielle Züge an. In Meiningen gründen FAUD-nahe Arbeiter den Verein „Gegenseitige Hilfe“. Sie erwerben Ackerland, um sich mit Kartoffeln und Gemüse selbst zu versorgen. Der Höhenzug Hohe Maas wird zu ihrem Treffpunkt.
Ein erster Unterstand entsteht, der später spendenfinanziert immer weiter zur heutigen Hütte ausgebaut wird. 1926 – im 50. Todesjahr des russischen Anarchisten Michael Bakunin – erhält der Bau dessen Namen.
Längst zieht die Bakuninhütte Gleichgesinnte aus ganz Deutschland an. 1930 findet an der Hütte das erste Reichsferienlager der Syndikalistisch-Anarchistischen Jugend Deutschlands(SAJD) statt. Dass es hier – übrigens bis heute – weder Wasser (Brunnenbohrungen scheiterten am harten Muschelkalk) noch Strom gibt, stört nicht.
Unter den Besuchern ist auch der Dichter und Anarchist Erich Mühsam (1878 bis 1934), der den Radikalinskis dieser Welt mit seinem Lied vom „Lampenputzer“ quasi eine Hymne schreibt. Kopien von drei Postkarten aus Meiningen, denen Mühsam von der „Hütte der Genossen“ schwärmt, gehören heute zu den Schätzen im umfangreichen Archiv des Wandervereins Bakuninhütte.
Allerdings steht der Name Mühsams auch symptomatisch für das Schicksal der Anarchisten und ihrer Bleibe auf der Hohen Maas. Schon die Beteiligung an der Münchner Räterepublik bringt Mühsam fünf Jahre Festungshaft ein. Nach der Machtergreifung der Nazis wird er erneut verhaftet und im KZ Oranienburg ermordet.
Auch in Sachen Bakuninhütte machen die neuen NS-Herrenmenschen kurzen Prozess, weiß Christian Horn. „Der Siedlungsverein Gegenseitige Hilfe wird aufgelöst, das Anwesen zugunsten der SS enteignet. Weil die nichts damit anfangen kann, übernimmt es schließlich ein ortsansässiger Privatmann und nutzt es als Wochenendhaus.

Meininger Antifa-Jugend entdeckt Bakuninhütte
Bleibt noch hinzuzufügen, dass der Ursprung der Bakuninhütte auch zu DDR-Zeiten keine Rolle spielt. Anarchisten haben in der kommunistischen Erbepflege keinen Platz. Mal ist die Hütte FDJ-Ferienlager, dann Forschungsstation des Kulturbundes – angeblich werden in den 60ern heimliche Bakuninfeiern abgehalten, was aber schnell unterbunden wird – und zuletzt ein für die Öffentlichkeit gesperrtes Übungsgelände der Bereitschaftspolizei.
Vorübergehend sei sogar ein großer Stausee geplant gewesen – das „Suhler Meer“ mit der Hütte als Sommerfrische am Wasser – es wurde nichts daraus. Die einstigen Hausherren gerieten über alledem in Vergessenheit.
Bis nach der Wende Meininger Antifa-Jugendliche auf das heruntergekommene Kleinod aufmerksam werden. Ihr Ziel, das Gelände als neue linke Heimstatt im Sinne der Gründer zu übernehmen, erreichten sie zwar nicht. Auch durch ihre Publikationen kehrt die Bakuninhütte aber als solche ins öffentliche Bewusstsein zurück.
Es ist einer dieser Mosaiksteine, zu denen noch viele hinzukommen. Vom Amt für offene Vermögensfragen werden Rückgabeansprüche von Ehemaligen abgeschmettert. Man lässt trotzdem nicht locker. Bis 2005 der aus eben diesem Umfeld gebildete „Kreis der Wanderund Naturfreunde Meiningen“ (s. oben) die Hütte vom Bundesvermögensamt kaufen kann.

Bakunin Gedenkstein

Der Bakuninstein von 1926 blieb erhalten und befindet sich im Besitz des Wandervereins Bakuninhütte. Foto: Marco Kneise

Noch so ein Mosaikstein: Meininger Gymnasiasten schreiben eine Seminarfacharbeit über die Geschichte der Bakuninhütte und gewinnen damit einen der Hauptpreise beim Schülerwettbewerb der Stiftung Ettersberg. Kai Richarz, einer der Autoren, gehört mittlerweile zu den rührigen Mitstreitern in Sachen Bakuninhütte.
Einen Baustopp bei der Sanierung können die Hütten-Beleber wieder beenden, auch übernachten soll man dort wieder können.
Höhepunkte sind im Sommer 2015 Ausstellung und Tagung zur Geschichte des Anarchosyndikalismus in Thüringen und der Bakuninhütte. Das habe dann wohl auch das
Denkmalamt endgültig überzeugt, sind sich Horn und Wagner sicher.
Die Bakuninhütte selbst ist für normale Besucher nach wie vor nur zu Fuß zu erreichen. Von der Bushaltestelle Hohe Maas und den Parkplätzen an der Landstraße 1140 sind es 30 FußMinuten. Das Wasser bringen die Vereinsleute mit, Strom liefert bei Bedarf ein Aggregat. Zurückgekehrt ist auch der alte Hüttenspruch: „Freies Land und freie Hütte / Freier Geist und freies Wort / Freie Menschen, freie Sitte / zieht mich stets zu diesem Ort.“
Für Horn und Wagner schlägt die restaurierte Tafel heute wieder eine Brücke zu den 1920erJahren.

Hanno Müller / 10.05.16 / TA