Wir dokumentieren einen Artikel aus der Tageszeitung Meininger Tageblatt vom Mittwoch, 1. Oktober 2014.

Zeitungs-Lesung zum 1. Weltkrieg

Große Resonanz fand eine Lesung zu den Auswirkungen des Ersten Weltkrieges im Konferenzraum von FW Meininger Tageblatt. Drei Meininger lasen aus Beiträgen lokaler Zeitungen von 1914 bis 1918.
Von Kerstin Hädicke

Meiningen – „Die Stadt würdigt Theaterherzog Georg II. zu seinem Todestag in diesem Jahr mit vielen Beiträgen. Doch obwohl wir in Meiningen vier Garnisonen hatten, spielt der Erste Weltkrieg kaum eine Rolle. Dem wollten wir entgegentreten“, betont der ehemalige Pfarrer Michael Wagner mit Blick auf die jüngste Lesung zu Ereignissen der „Katastrophe bis dahin ungeahnten Ausmaßes“ aus dem Meininger Tageblatt und dem Werra-Boten von damals. Die Idee zu dieser Veranstaltung ist am Bakuninhütten-Stammtisch entstanden und die Meininger Michael Wagner, Achim Fuchs und Axel Schneider setzten sie um.

Geschichte lokal gesehen
„Wir kümmern uns im Stammtisch seit jeher um Lokalgeschichte. Und da Meiningen neben Weimar einst die größte Garnisonsstadt der Region war, hätte man dem 100. Jahrestag des Ersten Weltkrieges eigentlich eine eigene Ausstellung widmen müssen“, so Wagner weiter. Axel Schneider ergänzt: „Wir müssen die Erinnerung an die furchtbare Menschenschlacht wach halten.“ So planen die Herren Schneider, Fuchs und Wagner auch für 2015 eine Fortsetzung der Erste-Weltkriegs-Episoden. „Dabei steht der Briefwechsel der Enkel von Georg II., Ernst und Georg, und des Prinzen Friedrich von Sachsen-Meiningen, einem Sohn des Theaterherzogs, an ihre Frauen im Mittelpunkt. Die Männer standen als Regiments-Kommandeure an vorderster Front und sind schon in den ersten Kriegsjahren gefallen.“
Laut Axel Schneider gilt der Erste Weltkrieg „im britischen, französischen und belgischen Sprachgebrauch bis heute als der ,Große Krieg‘ in der Geschichtswissenschaft“ und als die „Urkatastrophe des 20 .Jahrhunderts“.

Von Politik gewollt
Dass dieser große Konflikt zwischen den europäischen Mächten „keineswegs aus heiterem Himmel kam“, legten die vortragenden Herren recht anschaulich dar. „Und die Ermordung des österreichischen Thronfolgers war nur der Anlass, nicht die Ursache des Ersten Weltkrieges“. Vielmehr wollten Deutschland und Österreich „ihre außenpolitischen Krisen bzw. Krisenängste militärisch“ lösen.
So zitiert Achim Fuchs aus dem Meininger Tageblatt vom 1. Juli 1914: „Die großserbische Gefahr. Schon der bisherige Gang der Untersuchung hat bestätigt …, daß der Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin der großserbischen Propaganda … zum Opfer gefallen sind und daß die Fäden der Verschwörung … nach Belgrad laufen.“ Wenn auch zunächst die Berichte über das Attentat nicht besorgniserregend klingen und der Alltag in Meiningen und der Region in gewohnter Weise fort geht, musste spätestens nach der Lektüre des MT vom 24. Juli 1914 und mit der Veröffentlichung der an Serbien übermittelten „rüden“ österreichischen Note jedem klar sein, „dass Derartiges ohne vorherige Rückfrage in Berlin nicht formuliert worden war“, wie Achim Fuchs kommentiert.

Stein im Rollen
Und so wundert es nicht, weiter zu lesen: „Der Stein ist ins Rollen gebracht. Es ist nicht zu leugnen, daß fast jeder Punkt der von Österreich-Ungarn aufgestellten Liste ein Eingriff in die Hoheitsrechte des serbischen Staates bedeutet … Wir halten es für unwahrscheinlich, daß die serbische Regierung auf die Bedingungen Österreichs eingehen wird.“
Die Bevölkerung reagiert unterschiedlich, wie Achim Fuchs resümiert. So ist im MT vom 27. Juli 1914 die Rede von „Begeisterung im Reich“. Von Nieder-mit-Serbien-Rufen und von Unruhen in der Bevölkerung in Berlin. „Die Angst um ihre Spargelder trieb heute Hunderte nach dem Mühlendamm, das Gebäude der städtischen Sparkasse war dicht umlagert. Die Polizei musste die Sparkasse zeitweise absperren.“
Bereits am 29. Juli titelt das MT: …die Würfel sind gefallen. „Da die königlich serbische Regierung die Note nicht in befriedigender Weise beantwortet hat, so sieht sich die k.u.k. Regierung in die Notwendigkeit versetzt, selbst für die Wahrung ihrer Rechte … Sorge zu tragen und … an die Gewalt der Waffen zu appellieren. Österreich-Ungarn betrachtet sich daher von diesem Augenblick an als im Kriegszustand mit Serbien befindlich.“

Nicht für Krieg bereit
Axel Schneider erläutert in seinem Fazit: „Die Militärs waren sich durchaus bewusst, auf was sie sich einließen: Im Generalstab rechnete niemand ernsthaft mit einem kurzen Krieg. Die Marine wusste, dass ihre Flotte nicht für den Krieg bereit war. Mit rationalen Argumenten allein ist nicht zu klären, warum die Führung in Deutschland und Österreich sehenden Auges in die Katastrophe ging.“
Er gewährte last but noch least einen „Blick in die intellektuellen und moralischen Abgründe der Reichsführung“ mit den Worten von Kriegsminister Erich von Falkenhayn. Er hatte am 4. August 1914 Reichskanzler Bethmann Hollweg erklärt: „…wenn wir auch daran zugrunde gehen, schön wars doch“.
Was für Michael Wagner die Frage aufwirft: „Haben wir gelernt aus der Geschichte? Das wäre doch ein Auslöser für eine Diskussionsrunde. Mich würde es freuen, wenn sich jemand fände, der das in Angriff nimmt.“


Archivarbeit
Achim Fuchs, Michael Wagner und Axel Schneider haben nach der Ideenfindung beim Bakuninstammtisch Monate im Meininger Stadtarchiv recherchiert, um aus Meininger Tageblättern und dem Werraboten von 1914 lokale Ereignisse nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges aufzulisten. „Das Stadtarchiv ist eine wahre Fundgrube. Hier darf verwaltungstechnisch nicht eingespart werden. Im Gegenteil. Der Bürger sollte unkompliziert an historische Unterlagen herankommen“, wünscht sich Michael Wagner.
Eine Ausstellung zum Ersten Weltkrieg findet im Meininger Kreisarchiv ab 26. Oktober statt.