Wir dokumentieren einen Artikel aus der Tageszeitung Junge Welt vom 4.1.2014.

Hoher Streitwert – Die Bakuninhütte zwischen Thüringer Wald und Rhön ist ein ­»unbequemes Denkmal«
Von Helmut Höge

In der Bakuninhütte war Michail Bakunin nie gewesen, wohl aber die Anarchisten Erich Mühsam und Augustin Souchy. Die Anarchofeministin Emma Goldman warb 1932 für die Unterstützung der Hütte.

Die Bakuninhütte steht auf dem Berg Hohe Maas bei Meiningen in Südthüringen. Sie liegt gewissermaßen zwischen Thüringer Wald und Rhön. Sie wurde in den 1920er Jahren von Arbeitern aus Meiningen und Umgebung auf einem Stück Land errichtet, das ihnen zur Zeit der großen Inflation zur Selbstversorgung diente. Die Arbeiter waren Syndikalisten, größtenteils in der Gewerkschaft »Freie Arbeiter Union Deutschand« organisiert. Auf dem einstigen Gemüsefeld entstand zunächst eine einfache Schutzhütte und später ein Steinhaus. Dazu wurde der »Siedlungsverein gegenseitige Hilfe« gegründet. Er organisierte Veranstaltungen, Feste und Zeltlager. Anläßlich seines 50. Todestages wurde für Bakunin im Juli 1926 ein Gedenkstein errichtet.

1932 wurde die Hütte umgebaut und im nächsten Jahr von den Nazis enteignet. Zunächst nutzten der »SS Sturm IC/57 Meiningen« und die Hitlerjugend das Gelände, dann übernahm es die NSDAP München. 1938 wurde das Grundstück an einen Müllermeister im Nachbardorf Ellingshausen verkauft, der die Hütte weiter ausbaute. Er wurde 1946 durch die Sowjetische Militäradministration enteignet. Die Hütte bekam die SED Meiningen, die das immer mehr verfallende Haus mehreren Organisationen zuschob. Zwischendurch nutzte die Gemeinde Ellingshausen die Bakuninhütte fast zehn Jahre als Touristen­station »August Bebel«. Für die Ausflüge dorthin war die Kreisleitung der FDJ verantwortlich. Ab 1970 diente das Anwesen dann der Meininger Polizei als Übungsgelände.

1989 ging die Immobilie in den Besitz des Bundesvermögensamtes der BRD über. Nun bemühten sich Berliner und Meininger Anarchisten um das Objekt. Als erstes mußten sie den Abriß der Hütte durch das Bauamt verhindern. Erst 2005 konnten sie die Immobilie schließlich dem Vermögensamt in Suhl abkaufen und den »Wanderverein Bakuninhütte« gründen.

Um die Renovierung des Hauses zu finanzieren, gab der Verein 2010 im Berliner Kramer Verlag eine »Gedenkschrift« über den ehemaligen Hüttenwart und Wanderarbeiter Fritz Scherer heraus: »Rebellen-Heil«. Neben Lebenserinnerungen und Photos von Scherer enthält das Buch eine DVD mit einem Dokumentarfilm über die Vagabundenbewegung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das Landesamt für Denkmalpflege lehnte die Einstufung der Bakuninhütte als »Kulturdenkmal« ab.

Im letzten Jahr stand der »Tag des offenen Denkmals« (8. September ) unter dem Motto »Jenseits des Guten und Schönen: Unbequeme Denkmale«. Aus diesem Anlaß führte der Wanderverein ein Interview mit der Denkmalpflegerin Gabi Dolff-Bonekämper über die Frage, ob die Bakuninhütte mit ihrer Geschichte nicht doch unter Denkmalschutz gehört. Die Kunsthistorikerin an der TU Berlin bejahte dies – u.a. wegen des hohen »Streitwerts«. Mit diesem Fachbegriff ist kein Geldwert gemeint, sondern, daß »das Umstrittensein kein Nachteil ist, sondern eine Qualität«. Zudem sei der die Hütte umtreibende Anarchosyndikalismus ein »Fakt in der Geschichte«. Dieser historische Hintergrund war zuvor im Gutachten des Landesdenkmalamtes als »nicht denkmalrelevant« eingestuft worden.

Über die Hütte selbst meinte Frau Dolff-Bonekämper: »Es ist ein interessantes Gebäude, es ist irgendwie extravagant und offenbar mehrteilig, irgendwie gewachsen und es steht mitten in der Natur.« Außerdem sei »die ereignisgeschichtliche Seite« des Bauwerks über die Jahrzehnte, das heißt Fragen der Bauherrenschaft, Benutzung, Weiternutzung und Umnutzung, relevant, die sie eine »ganz kontroverse Folge« von Widmungen nennt. Und was ist mit dem öffentlichen Interesse? Das zu messen, ist nochmal eine andere Aufgabe: »Wer spricht darüber, wer schreibt darüber? Ist das Ganze schon irgendwie notorisch in der Region bekannt? Gibt es eventuellen Streit darüber, oder gibt es einen Konsens?« Schließlich wäre auch noch die »Sachgesamtheit« zu bewerten, das gesamte »Ensemble« des Gebäudes, der Nebengebäude, des Gartens etc.

Die Bakuninhütte ist das vermutlich letzte noch erhaltene Gebäude in Deutschland, das von Anarchosyndikalisten in der Zeit zwischen den Weltkriegen errichtet wurde und gehört zur thüringischen Baugeschichte. 1988 starb der Hüttenwart Fritz Scherer. An ihn erinnert ein Gedenkstein. Um die Bakuninhütte nicht wieder in Vergessenheit geraten zu lassen, organisieren ihre Betreiber Wanderungen und Veranstaltungen. Auf ihrer Internetseite heißt es z.B. über ihr Pfingsttreffen 2013: »Damit wurde eine Tradition wieder aufgenommen, die einer 80jährigen Zwangspause unterlag… Übernachtet wurde, im Gegensatz zu früher, allerdings nicht mehr in der Hütte, denn dies ist dem Wanderverein Bakuninhütte e.V. untersagt. Dazu dienen nun Zelte, auf dem ausreichend großen Grundstück.«


Weitere Pressestimmen vom Tag des offenen Denkmals 2013 gibt es hier.