* Und als Anarchist habe ich zu Ihnen gesprochen!“ Mit diesen Worten schloß Erich Mühsam, der Münchener Räterepublikaner und Festungsgefangene von Niederschönenfeld, der anarchistische Dichter und Schriftsteller, am Sonnabend seinen Vortrag über „Die faschistische Gefahr“! – Es war kein allzugroßer Kreis von Menschen, der sich eingefunden hatte und viele auch noch von diesen mochte die Neugier getrieben haben, einmal den Mann zu sehen und zu hören, mit dessen Gestalt und Name sich die Erinnerung an die blutigen Revolutionstage in München verbindet. Denn das steht zweifellos fest:: dieser Erich Mühsam ist eine Persönlichkeit. Schon rein äußerlich, mit dem typischen Kopf des Revolutionärs, mit einem schrankenlosen Willen zur Freiheit! Und dieser Mann nun schleudert mit einer gefährlichen Beredsamkeit die fruchtbare Brandfackel in das Volk, – die Brandfackel des Bürgerkriegs, – die Aufforderung zum Kampf gegen alles was Staat und Staatsgesetze heißt, er predigt die Vernichtung des Staates in seiner bestehenden Form. Ausgehend von der heutigen politischen Lage, die nur auf dem gewaltsamen Wege eines revolutionären Geschehens geändert werden könne, kam er auf die drohende Gefahr des Faschismus zu sprechen. Er zeichnete sie in allen Einzelheiten und verlas einen angeblich bereits vorhandenen Entwurf , in dem es allerdings bei beinahe, jedem Atemzug heißt: – – wird mit dem Tode bestraft! – – Der Redner erklärte weiter, daß wir in Deutschland bereits den Faschismus in allen Vorbereitungen der Gesetzgebung hätten. Das sei besonders bei der Justiz der Fall! Er gab ein Beispiel: Der Nationalsozialist Frick sei im Jahr 1923 nur zu 1 Jahr 3 Monaten Festungshaft (bei Bewährungsfrist) verurteilt worden, – ihm, (Mühsam) habe man seinerzeit 15 Jahre Festungshaft zudiktiert, von der er fast 6 Jahre hätte absitzen müssen! Scharf wandte er sich darauf gegen die Sozialdemokraten, die er Vorfaschisten (allgem. Gelächter!) nannte und kam dann auf die Nationalsozialisten zu sprechen. Er betonte, man müsse der Arbeiterschaft sagen, daß sie sich ins eigene Fleisch schneidet! Wenn sie aufhört, international zu denken, so versklave sie sich aufs neue dem Kapital. Der Arbeiter werde mit nationalen Phrasen blöd gemacht. Ihn gehe nichts derartiges an! (Zuruf: Oho!) – Der Redner kam zum Schluß: „Wir Anarchisten wollen die Macht nicht erobern, wir wollen sie zerstören! Die Arbeiter sollen das Machtgefühl der eigenen Freiheit, nicht der nationalen empfinden, – also, – Revolution gegen alles was sich ihnen entgegen stellt!“ In der darauffolgenden Debatte sprach Hans Sippel von den „Adlern und Falken“ als Angehöriger der Bündischen Jugend. Er betonte: „Ich bewundere den Idealismus, der die Anarchisten beherrscht! Sie wollen die Freiheit des Einzelnen! Das erstreben auch wir, doch über die Freiheit des Einzelnen stellen wir die Idee einer Gemeinschaft, den glauben an einen Führer! Für eine schicksalsverbundene Volksgemeinschaft ist der anarchistische Gedanke ein Unding! Er würde uns wehrlos machen!“ (Bravo!). – Erich Mühsam zeigte sich unterrichtet über die Ziele der bündischen Jugend. Er erwiderte mit Worten des bündischen Führers, der den heroischen Menschen als Ideal aufstellt. „Aber“, – fügte der Redner hinzu, „für diesen heroischen Menschen muß erst Platz geschaffen werden! Kommt er doch immer nur aus der Masse der Vergewaltigten!“ Den Fehler des bündischen Gedankens aber sah er in dem Ruf nach einem Führer. „Jeder ist Führer selbst, wenn er nur sich beherrscht!“ – Erich Mühsam vergaß, daß dieses stolze Wort, daß er für sich in Anspruch nehmen kann, nicht für alle Naturen taugt! Er vergaß weiter, daß das, was ihm als Menschheitsideal vorschwebt, in der Praxis verdammt anders aussehen würde.Meininger Tageblatt, Nr. 34/1930, Montag, 10. Februar, S. 2 f.