Dieser Text ist eine Transkription von 2023, basierend auf dem Original-Gutachten vom 18. Dezember 2014. Es wurden lediglich kleine formale Anpassungen vorgenommen. Das Original befindet sich im Vereinsarchiv.

Bei dem in Meiningen (Südthüringen), unweit des Dorfes Ellingshausen auf der Hohen Maas gelegenen, im Folgenden als „Bakunin-Hütte“ bezeichneten Gebäude, handelt es sich dokumentarisch belegt – um die im Jahr 1925 vom damaligen „Siedlungsverein Gegenseitige Hilfe“ errichtete Schutzhütte. In der Weimarer Republik war die Örtlichkeit eine Wirkungsstätte bekannter Persönlichkeiten, darunter der Schriftsteller Erich Mühsam. Während des Nationalsozialismus erfolgte die Enteignung des Bauwerks mitsamt dem dazugehörigen Grundstück und dessen Überführung in den Besitz der in Meiningen stationierten Staffel der SS. Nach dem Zweiten Weltkrieg sanktionierten die Behörden der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) den als gesetzeswidrig zu bewertenden Besitzerwechsel durch die Einvernahme als staatlich geleitete „Touristenstation“. Aufgrund des besonderen Charakters des Ortes ist die „Bakunin-Hütte“ als ein bewahrenswertes Kulturdenkmal einzustufen.

Begründung

Seit den 1980er Jahren sind von der historischen Forschung die sozial-, kultur- und zeitgeschichtlichen Rahmenbedingungen von Initiativen mit Projektcharakter untersucht worden, die in den 1920er Jahren – aufgrund der widrigen Umstände teilweise auch als alternative Subsistenzwirtschaften –, vor allem jedoch auch aus Mangel an Versammlungs- und Wohnmöglichkeiten sowie fehlender Möglichkeiten der Freizeitgestaltung und Erholung, hauptsächlich in Eigenregie entstanden. Träger dieser in Selbsthilfe errichteten Siedlungsprojekte waren insbesondere Initiativgruppen aus dem Umfeld der „Freien Arbeiter-Union Deutschlands“ (FAUD), eine auf eine freiheitliche Sozialismuskonzeption rekurrierende Organisation mit kulturpolitischem Anspruch, in der sich gewerkschaftliche und genossenschaftliche Kernelemente unter dem spezifischen Begriff des „Anarchosyndikalismus“ verbanden. Zeitgeschichtlich unter die unabhängigen sozialistischen „Zwischenorganisationen“ der Weimarer Republik eingeordnet, bildet die FAUD mit zeitweilig bis zu 120.000 Mitgliedern (1920) einen eigenständigen Strang zwischen den großen Hauptströmungen der Arbeiterbewegung.

Nach dem Verbot entwickelten die Mitglieder im „Dritten Reich“ Widerstandsaktivitäten, die der Verfolgungsapparat des Regimes – von marginalen Resten abgesehen – bis 1937 zerschlug. Nachweislich fungierte die „Bakunin-Hütte“ als eine Anlaufstelle für Zusammenkünfte der illegalen FAUD. Der aktive Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur, der im Verhältnis zu den illegalen Arbeiterorganisationen mit vergleichsweise hohen Opfern verbunden war, ist von der Forschung berücksichtigt worden und in die Standardliteratur1 eingegangen. In der „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ in Berlin wird dieses Engagement an entsprechender Stelle gewürdigt. In der DDR hingegen galt der Anarchosyndikalismus nicht als legitimer Bestandteil der Arbeiterbewegung, sondern als parteischädliche Opposition. Infolgedessen wurden die als „anarchosyndikalistisch“ eingeschätzten Versammlungs- und Organisationstätigkeiten von den Verfolgungsbehörden der SBZ/DDR als „staatsfeindliche“ Akte geahndet.

Der Entstehungszusammenhang und die Wirkungsgeschichte der „Bakunin-Hütte“ sind von der sozialhistorischen Forschung bereits dargelegt worden; die wissenschaftlichen Befunde dokumentiert. Zwar ist die Existenz ähnlicher Projekte durch archivalische Primärquellen oder Zeitzeugeninterviews belegt, zumeist sind diese Örtlichkeiten in der Zeit des Nationalsozialismus jedoch vorsätzlich zerstört worden. In anderen Fällen sind die Baulichkeiten, bedingt durch private Umbaumaßnahmen oder Zweckentfremdungen, nicht mehr in einem dem Entstehungszusammenhang zuzuordnenden Zustand. Insofern kann die „Bakunin-Hütte“ mit hoher Wahrscheinlichkeit als das bislang letzte verbleibende Zeugnis der antiautoritären Alternativkulturen der Weimarer Republik gelten.

Ihrer Bedeutung entsprechend ist die „Bakunin-Hütte“ als exzeptionell einzuschätzen, zumal hier ein authentischer Bezug zum originären Entstehungszusammenhang existiert. Aus dem wissenschaftlichen, kultur- und heimatgeschichtlichen Aussage- und Assoziationswert des Gesamtensembles (Gebäude nebst Grundstück) ergibt sich die Denkmalfähigkeit des Gebäudes. Aufgrund der sozial- und kulturgeschichtlichen Relevanz des Ortes ist der Status der Denkmalwürdigkeit des Gebäudes angemessen und zur weiteren Substanzerhaltung unerlässlich.

Bei dem vom „Wanderverein Bakunin-Hütte“ unter professioneller Fachanleitung nach historischen Gesichtspunkten durchgeführten Restaurationsprojekt handelt es sich um eine anerkannte gemeinnützige Initiative zur Bewahrung eines aus zeithistorischen Gründen schützenswerten Zeitzeugnisses. Der Erhalt des Bauwerks ist von öffentlichem Interesse und die Denkmalwürdigkeit daher anzuerkennen. Dementsprechend ist die Aufnahme in das offizielle Denkmalbuch zu empfehlen.

Dr. Hartmut Rübner
Dipl. Pol.-Wiss.
Research Fellow Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts

 


Anmerkungen:

1 Beispielhaft seien genannt: Klan, Ulrich und Nelles, Dieter: „Es lebt noch eine Flamme“. Rheinische Anarcho-Syndikalisten/-innen in der Weimarer Republik und im Faschismus, Grafenau-Döffingen 1986 [2. Aufl. 1990].
Linse, Ulrich: Die anarchistische und anarcho-syndikalistische Jugendbewegung 1918–1933. Zur Geschichte und Ideologie der anarchistischen, syndikalistischen und unionistischen Kinder- und Jugendorganisationen, Frankfurt/Main 1976.
Rübner, Hartmut: Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands. Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus, Berlin/Köln 1994. [Rezension]